Text von Dr. Roland Augustin
Dem Autor gegenüber hat O. W. Himmel einmal gesagt, dass er ein Charakter sei, der die Ochsentour machen müsse. So wie andere Künstler sich verbieten mit ganz bestimmten künstlerischen Ideologien, einerlei ob geometrisch oder konkret, konzeptuell oder seriell, neoexpressionistisch oder neorealistisch, modern oder postmodern zu verschreiben, so definiert sich die künstlerische Strategie Himmels über eine weite Strecke durch den Vertriebsweg seiner Arbeiten. Er hält es nicht aus, jahre- oder jahrzehntelang anerkannte Autoritäten des Kunstbetriebes zu hofieren und den Künstler zu spielen, dessen Geist mal vom Ingenium, mal von der Melancholie geküsst wird, sich in göttlicher Raserei verausgabt um sodann nach dem kreativen Veitstanz wieder in dunkles Grübeln zu verfallen. Kurz: Sich zum Hofnarr einer Kunstschickeria zu machen, die jeden lebendigen kreativen Impuls als köstliches Schauspiel mal mit mehr, mal mit weniger Gunst honoriert, liegt ihm nicht.
Himmel nimmt die Freiheit ernst, die der Kunst im 19. Jahrhundert auferlegt wurde – auch im merkantilen Sinne. Himmel schreibt keine Anträge auf staatliche Förderung. Himmel füllt keine Formulare für Stipendien aus. Himmel handelt selbst. Himmel handelt mit sich selbst bzw. mit seiner Kunst. Himmel stellt sich in den Markt, mitten hinein, hat die Herausforderung angenommen und reagiert auf den globalen Wettbewerb der Kunst auf seine ganz eigene Weise. Denn die globalisierte Hochkunst hat ein Segment absolut nicht bedient. Hier tat sich eine klaffende Marktlücke auf: der Niedrigpreissektor. Kunst, die nicht teurer sein muss als zwei Paar Jeans. Kunst, die man erwerben kann ohne Industrieller zu sein, die bietet Himmel an und zwar persönlich. Himmel meidet die Noblesse der Galerien. Vielmehr bedient er sich dem Populären, in seinen Motiven und in seinen Verkaufsstrategien. Seine Bilder sind Vergrößerungen von Bananenetiketten, Schallplattenmarken oder Streichholzschachteln und seine Vertriebsstrategie bei Kunst zu Hause Abenden ähnelt dem Stil der Verkaufspartys der Marke Tupperware.
Seit kurzem ist sie manchmal auch dem langjährigen Erfolgsformat der „Butterfahrt“ per Omnibus entlehnt. Das, was der kapitalistische Warenkreislauf an Entfremdung von sich selbst und vom Produkt schuf, fügt Himmel in seiner Kunst mit dem Verkauf derselben wieder zusammen. Keine Mehrwertabschöpfung durch die Galerienindustrie. Ausbeuter seiner selbst ist er selbst. Schon für die Kunst zu Hause Abende stellte Himmel mit seiner Frau Katharina Krenkel ein Warensortiment ihrer beider Kunst zusammen, das auf wohl vorbereiteten Verkaufstischen, auf denen jeder Artikel seinen markierten Platz hat, feilgeboten wird. Bis jetzt konnte er mit der Entdeckung des Niedrigpreissegments eine ökonomische, wie auch ästhetische Nische besiedeln, die das Auskommen seiner Familie sicherte. Das Verkaufen seiner Kunst hat für Himmel existenziellen Charakter. Das ist keine Attitüde – verkauft er nichts, geht alles den Bach runter.
Das Schicksal eines Handlungsreisenden ist Himmel durchaus deutlich vor Augen. Aber Himmel findet sich im Markt zurecht. Und seit einigen Jahren beschäftigt er sich motivisch intensiv mit den bildlichen Zeichen des Marktes – mit Markenzeichen, englisch Labels, die im Jargon der Musikindustrie mit Schallplattenmarken gleichzusetzen sind, mit Firmen, die sich auf bestimmte Marktsegmente spezialisiert haben, ein bestimmtes Publikum ansprechen und auch unterschiedliche Weltbilder, Lebensstile, und Mythen bedienen. Man denke da zum Beispiel an das legendäre Label Blue Note, an Ariola oder andere. O. W. Himmel hat sich bislang beschränkt auf solche Markenzeichen, die sich anders als zum Beispiel Coca Cola oder Mercedes nicht in meterhohen Leuchtlettern auf innenstädtischen Hausdächern breitgemacht haben und ihre allgegenwärtige Präsenz wie einen Sieg feiern. Himmels Markenzeichen sind klein. Es interessieren ihn die noch verborgenen oder schon wieder vergessenen Markenzeichen, die auf ihre bescheidene oder bescheiden gewordene Weise eines verkünden: Unverwechselbarkeit. Das Markenzeichen ist auf eigentümlich magische Weise mit den Eigenschaften des Dinges verbunden, auf dem es angebracht wird. Ursprünglich wurde es erfunden um den Warenverkehr, auch den unter Analphabeten, eben archaisch und nicht mit den Mitteln der Hochkultur, zu regeln und damit Sicherheit zu schaffen. Auf den Märkten des Mittelalters sollten die Waren des einen Händlers nicht mit jenen des anderen vertauscht werden. Deshalb wurden sie mit einem Zeichen versehen. Immer dasselbe Zeichen für denselben Händler, dasselbe Zeichen für dasselbe Produkt. Stereotype schaffen Sicherheit. Ebenso markierten Künstler-Handwerker ihre Produkte. Bekannt sind die Marken der Porzellanmanufakturen und des Kunsthandwerks, insbesondere dann wenn Edelmetalle verarbeitet werden. Marken sind in der Zunftwirtschaft entwickelt worden und bezeugen einen gewissen Qualitätsstandard und schützen vor Betrug. Je weniger persönlicher Kontakt zwischen Hersteller und Verbraucher herrscht, umso wichtiger wird die Marke als visuelles Zeichen der Garantie1 und als Schutz vor Enttäuschung.
Es ist deshalb kein Wunder, dass auch nach dem Zeitalter der Zunftwirtschaft das Markenzeichen keineswegs eine geringere Rolle als zuvor gespielt hat. Ganz im Gegenteil: Die Distanz zwischen Hersteller und Konsument ist deutlich größer geworden und ein Schutzbild gegen Enttäuschung, einem Fetisch gleich, ist im Markt wichtiger denn je. Und in der Tat dient das Markenzeichen auch dem, was Marx als Warenfetischismus bezeichnet hat. Es führt ein Eigenleben, das in traditionellen Gesellschaften den Dingen in magisch-religiöser Hinsicht zugesprochen wird.2 Dieses Eigenleben, das Marx in der Distanz der Marke zur Funktionalität der Ware erkennt, billigt O. W. Himmel dem Bild des Markenzeichens zu: Er vergrößert es um ein Vielfaches, er löst es von seinem Gegenstand und er bringt es von einem funktionalen Raum in einen non-funktionalen, in den der Kunst. Er betont damit zweierlei: Die künstlerische Qualität des Entwurfs und die Magie seiner Wirkung.
Kirk Varnedoe schreibt über die „Campell´s Soup Cans“ von Andy Warhol, dass ihr Vorteil gegenüber möglichen anderen Motivvorlagen darin liege, dass jeder wisse wie Campbell´s Soup schmeckt und das schon seit über 50 Jahren.3 Selbstverständlich profitieren auch die Arbeiten O. W. Himmels von diesem Effekt, weniger zum Beispiel die Bananenlabels, die auf eine faszinierende Art Entdeckungen eines vernachlässigten Teils der visuellen Welt darstellen, als vielmehr die expliziten Auseinandersetzungen mit der Popkultur, zum Beispiel die Weiterverarbeitungen von Schallplattencovern und deren Überstempelungen mit Songtiteln, wie „Music was my first Love“. Auch wenn die Erinnerungen, die beim Zitat dieses Titels von John Miles aus dem Jahr 1976, ob der schwülstigen Klanggewalt des Liedes bisweilen peinlich sind, so steht dennoch eines fest: Jeder kennt das Lied, auch wenn die Erinnerung daran möglicherweise bei manch einem verdrängt wurde. Auch wenn nicht jeder die Courage hat zuzugeben, dass es ihm vielleicht mal für einen kleinen Moment gefallen haben könnte: Jeder kennt es – und das ist ein erstaunliches Phänomen der Popkultur, die eine Art „common sense“ schafft und die Menschen dann doch Brüder sind, obwohl ein jeder aber eigentlich etwas anderes hören könnte, zumal doch kaum noch jemand weiß, wie seine Nachbarn eigentlich aussehen. Und trotzdem kennen alle die selben Lieder. In der Popkultur sitzt irgendwo der Weltgeist.
Die Plattencover, die Himmel bedruckt, geht er nicht nach eingehender kultursoziologischer Analyse beim Verlag einkaufen. Das Rohmaterial rekrutiert er mit Hilfe von Aufrufen zur Materialspende bei Bekannten, oder auf den mittlerweile zahlreichen Kunst zu Hause Abenden. Was er schließlich geliefert bekommt, wird von ihm nicht kontrolliert, sondern stammt wie eine geschichtliche Ablagerung aus jenem persönlichen Besitz, der nicht mehr gebraucht wird, mit dem man sich – vielleicht nach einer geschmacklichen Bekehrung – nicht mehr identifizieren möchte. Aus der Distanz betrachtet sind es aber Sedimente der Kultur. Teile davon werden von O. W. Himmel wieder künstlerisch umgewertet, kreativ recycelt und dem im Lauf der Zeit veränderten Bewusstsein vorgesetzt und wieder hinauf in die Gegenwart gespült. Ähnlich funktionieren die mit „Sweet Dreams“ bedruckten Schokoladenpapiere. Jeder weiß wie der Inhalt schmeckt und jedem fällt das gleichnamige Lied von den Eurythmics aus dem Jahr 1983 wieder ein. Landkarten werden mit „Go your own way“ bedruckt, einem Songtitel, den Fleetwood Mac 1977 als Single herausbrachte. Während Himmel den Bananenlabels zu künstlerischer Autonomie verhilft, das Label von dem Produkt löst, verfährt er bei den Drucken auf Plattencovern, Landkarten und Schokoladenpapieren quasi umgekehrt, indem er den Dingen ein neues Label verpasst und damit ihre verblasste Aktualität – schließlich sind es Dinge, die nicht mehr gebraucht werden – durch die Verwandlung nicht nur erneuert wird, sondern in der synästhetischen Assoziation mit der Musik ein neues Image geschaffen wird: Banale Schokolade wird zu süßen Träumen, Landkarten helfen nicht nur einen Ort zu finden, sondern nun auch die eigene Identität.
„A House is not a Home“ sang einst Barbra Streisand im Jahr 1971, komponiert wurde der Titel von Burt Bacharach. Bei Himmel erscheinen diese Worte in Linol ohne Rand auf eine Landkarte gedruckt und auf Tapete montiert. Einige mit der Nähmaschine geheftete Nähte deuten eine Fadenaufhängung an, die man bei Sprüchen, die wie ein Haussegen fungieren, etwa wie „My Home is my Castle“, an tapezierten Wänden von Hausfluren findet. Himmel bringt nun diese Montage in Rahmen, die wiederum ähnlich an entsprechende Wände gehängt werden. Bei all diesen Fundstücken, die aus der materiellen Welt entnommen sind, reicht es O. W. Himmel nicht, sie einfach zu verändern oder mit anderen zu verbinden. Seine künstlerische Bearbeitung hat in allen Fällen immer einen persönlichen handwerklichen Charakter. Besonders die Linoldrucktechnik macht den Duktus der individuellen, manuellen Bearbeitung sichtbar. Die Faktur genießt einen höheren Stellenwert als die technisch-reproduktive Perfektion. Die Alltagswelt der Massen wird aus der Anonymität zurück geholt und die Bananen- und Plattenlabels mit dem Warenzeichen „OW“ für Himmel versehen. Diese Bindung mit dem Persönlichen äußert sich auch in Himmels Bildern von seiner Familie, die die Entäußerung des Privaten unter dem Markenzeichen der Zeitschrift „Meine Familie und ich“ zusammenfassen.