Buchhaltung O.W. Himmel

Ausstellungseröffnung
29.09.2001
Pavillon, Ottweiler

Text von Dr. Annelie Scherschel

Wir lassen die Urinale hinter uns und wenden uns den salonfähigeren Bücher zu, sie sind der Grundstoff mit dem O.W. Himmel schon seit längerem arbeitet.

Buch-Arbeiten haben wir von O.W. Himmel schon in der Landeskunstausstellung letztes Jahr in St. Ingbert kennen gelernt. Farblich sortierte Bücher… rot, grün, blau, eingepasst in einen Rahmen in Regalreihen, zurecht gesägt, schön geordnet, schön anzusehen. Die Titel können wir noch lesen, herausnehmen geht schon nicht mehr und das Lesen der Bücher wäre, wenn möglich, nur ein Versatz-Lesen, da die Bücher alle beschnitten.

Comics würde er nicht zerschneiden, zerstören, denn mit Comics sei er aufgewachsen.

Ist ihm das, was wir „Respekt vor Büchern“ nennen, vor dem gebundenen, in Leinen gehülltem Buch, fremd?
Wer von uns hat es nicht?
Man wirft Bücher nicht einfach weg, Taschenbücher schon eher. Himmel arbeitet nur mit in Leinen gebundenen Büchern. Man geht pfleglich mit ihnen um, keine Essensreste, keine Eselsohren.

Er zerschneidet sie, zersägt sie, entfernt Formen, Sätze, Wörter aus ihnen. Doch wie wirken diese Bücher auf uns? Keineswegs zerstört, nicht durchnässt (vom Schneiden mit dem Wasserstrahl) nicht zerrupft, nicht geschändet. Er unterwirft sie der Destruktion um mit ihnen anschließend neue Sichtweisen zu konstruieren. Er bereichert das Buch um weitere Bedeutungsebenen, die über das Lesen, das Erfassen von Inhalten, das Lernen, denn beim Lesen lernt man ständig, hinausgehen.

Destruktion – Dekonstruktion: zwei seiner Schlagwörter hinter seinen Arbeiten.

Beide zu sehen in seinem Alphabet.
Pro Buch entsteht ein Buchstabe und zwei Bilder. Das Schriftzeichen als Objekt und Druckstock und sein Abbild. Aus einer heiteren Gruppierung in Farbe wird nüchternes „schwarz auf weiß“.

Buchhaltung
Himmel versteht darunter drei Aspekte:
die Haltung zum Kulturgut Buch
die Haltung vom Buch an der Wand
und die buchhalterische Seite seines Wesens

Nicht nur Lernen, ich erwähnte es eben, können wir mit Büchern. Wir können mit ihnen träumen, fabulieren, sie öffnen uns Fenster in fremde, ferne Länder, in fremde Kulturen. Die in ihnen verborgenen Geschichten können wir uns mit eigenen Bildern vorstellen, immer wieder neu, je nach Lebenszeit, in der wir lesen.

Das Monitorelement ist ein eine Reihe von Büchern geschnitten. Wir können durchsehen. Wie in unserem guten alten Fernseher können wir in die Ferne schweifen, haben freien Blick in den Garten, in die Welt. Der Bildschirm: Er ist unser Fenster für neuste Informationen; sekundenschnell können wir von jedem Punkt der Welt Neues erfahren. Eine Fernsicht auf Fakten, doch Freiheit erfahren wir durch das gelesenen.

Jeder, der einmal mit vielen Büchern und vor allem Kunstbüchern umgezogen ist, hat erfahren das Kultur eine schwere Last ist, die nicht nur Kisten belasten, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen an den Rand des Zusammenbruchs bringen kann.

Himmel ergänzt, experimentiert, setzt eins drauf. Wie viel Kraft haben Bücher? Was passiert, wenn..? In Kultur ist eine schwere Last belastet er Regale mit dem Gewicht von Büchern. Eigentlich nix neues. Regale, die einfach gebastelt, auf saarländisch „geknaubt“ dastehen, deren Schwäche provoziert. Es ist faszinierend so die Schwere der Bücher zu sehen, wie sie Etage für Etage sich durchdrückt.
Mit welcher Kraft die Bücher eine Welle formen.
Man weiß es und sieht man sich die Dünne der Bretter an, musste es so kommen, und trotzdem steht man staunend und geängstigt davor. So geht es zumindest mir einmal. In Bildern gefasste Wortgewalt.

Buchreihen, kein Titel, kein farbiger Einband lenkt ab von ihrer Skyline. Licht und Schatten, die Schichtung der Hölzer, wie die gebundenen Seiten. Pur hängen sie da als Zeichen ihrer selbst. Meditativ, in sich versunken.
Und auch: Die ultimative Verbindung von Eicherustikal und Bücherwand. Nichts verstaubt, keiner verrückt, die Wand ist gefüllt, farblich angenehm.
Also, falls sie mal schnell mehrere Meter Bücher mit neutralen, unverfänglichen Titeln benötigen.. Himmel hilft.
Bücher, das Synonym für Kultur schlecht hin. Wer Bücher hat, hat auch Kultur…..?

Er entrückt sie uns, er nimmt sie als Mittel zum Zweck, sie werden zu Buchstaben der Ironie, zu Wortwitz.

Wie das Buchbuchregal.
Ich hätte es nur Buchregal genannt, denn das ist es ja nun wirklich. Das einzig wahre Buchregal. Und wie stabil im Gegensatz zu seinem großen Bruder in dieser Ausstellung. Man kann es seiner Selbstwillen aufhängen. Die Farbflächen, die skulptural aufspringenden Fächer der Stützen wirken lassen. Man könnte auch sein momentanes Lieblingsbuch draufstellen. Doch ich bin sicher er verübelt es uns nicht, wenn wir es nutzen um irgendeinen Nippes aus dem letzen Urlaub darauf zu platzieren. Es verführt mit seinem Witz einem gerade dazu.

Ähnlich gelagert auch seine Buchleuchte, seine Leseleuchte. Nein, selbst lesen kann sie nun nicht, aber sie bereitet schönes Licht auf der Grundlage von Literatur. Und lesen muss man nicht unbedingt, um das Licht zu nutzen. Sie können sie übrigens, wie das Buchbuchregal hier gleich mitnehmen. Oder er fertigt Ihnen auf Wunsch aus Ihren Lieblingsbüchern eine eigene Leuchte an.

Wortwitz, Spielerei mit Wort und Objekt, Ironie.

Es sind alltägliche Gegenstände, die er immer wieder in unserem Gebrauch hinterfragt, sie uns in einem neuen Zusammenhang präsentiert. Unkonventionell stellen sie unsere Sicht auf sie und auf unsere Art von Bücher-Haltung in Frage.

Die Farbquadrate, die Buchblocks, ich erwähnte sie. Buch für Buch sortiert nach Farbe, geschnitten auf die gleiche Größe, passgenau im Regal. Bücher werden zu Farbelementen, deren Rhythmus der Anordnung dem Auge wohl tut. Titel, Inhalte werden zur Nebensache. Nach welchem Prinzip stehen Ihre Bücher im Regal? Passt das Bild zum Sofa oder das Sofa zum Bild?

Und nun hier in der Ausstellung. Die Buchblocks liegen am Boden. Wie Gartenbeete, angeordnet im Kreuz wie ein Klostergarten. Ihre Buchreihen werden zu Saatreihen. Das Pflanzenwachstum zeigt unterschiedlichen Stand.
Lyrische Momente in diesem oberen Raum. Mit den Buchbeeten zu Füßen, weit drunten ein weiterer Garten, ebenso gleichmäßig angeordnet, das Alphabet vor Augen. Die Heiterkeit eines unbeschwerten Tages. Die Macht, Last, Kraft der Bücher ist hier im verborgenen.

Und dann kommen wir um das Lesen der Titel doch nicht herum. Feuertitel auf der einen Seite – flammende Worte, Reden die Feuer entzünden, Flächenbrände auslösen können. Daneben der Feuerlöscher. Er löscht mit Wasserthemen. Bücher, die Feuer entfachen, Wörter die Brände löschen? Hier keine Destruktion des Stofflichen.
Er spielt mit den Inhalten der Titel. Sie werden zu Platzhalter für das Wesen und Wirken von Büchern und ihrem Inneren.

Buchhaltung:
Die Haltung zum Kulturgut Buch
Die Haltung vom Buch an der Wand
Und die buchhalterische Seele O.W. Himmels, die er von der Mutter, ein Buchhalterin, mitbekam; das Wesen, das genau aufnimmt, Nachweise erbringt, belegt, die was zu tun hat mit dem Sammeln der Gegenstände, mit den Geschichten, die sich hinter jedem Buch verbergen. Eine dritte Ebene, die für den Betrachter im Dunkel bleibt.

Das alte Medium Buch steht heute vielen neuen gegenüber. Seine Aufgabe Inhalte, Informationen weiterzutragen, wird heute auf anderen Wegen einfacher, schneller bewerkstelligt. Fernseher, Radio, Internet. In Sekunden sind Nachrichten um die Welt, Milliarden informiert. Lesen müssen wir immer noch.
Ein Buch hat den Vorteil, man kann es mitnehmen, man kann es zuschlagen, es hat Zeit für den Leser und es steht „schön“ im Regal. Aber wohin mit den sogenannten Kulturgütern? 76.000 Neuerscheinungen soll es dieses Jahr auf der Buchmesse wieder geben. Will man sie nicht entsorgen, hat man über kurz oder lang ein Problem, nicht nur beim Umzug…

Ein Lösungsansatz: die schönen, in Leinen gebundene bitte abgeben, bei Himmel & Co. Dort werden sie zerstört um ihr zweites Leben anzutreten. Und mit neuem Geist bereichert sind sie dann bereit erneut den Weg in unsere vier Wände zu finden.